OVER
GOOD-BYE, GOOD-BUY KARSTADT
Am 16. Januar 2024, einen Tag vor dem angekündigten Termin, schloss Karstadt für immer seine Türen in Lübeck. Damit endete nach 140 Jahren die Ära eines Kaufhauses, das gewissermaßen eine Institution war und, wie in vielen anderen Orten, auch in Lübeck das geschäftliche Zentrum der Innenstadt gebildet hatte. Wenn man die Filiale in den letzten zwei Monaten vor der Schließung betrat, sah man überall Schilder mit Aufschriften wie „Grosser Sortiments-Abverkauf“ oder „Alles reduziert“ oder „Wir schließen diese Filiale“. Viele Regale waren bereits halb geleert. Es wurden plötzlich stark verbilligte Angebote aus anderen Abteilungen im Erdgeschoss präsentiert, so z.B. Blu-Tooth-Speaker an einer Stelle, an der vorher Kosmetikartikel angeboten worden waren. Neben der Rolltreppe mit der Anzeige der Stockwerksbelegungen standen zwei Schaufensterpuppen. Auf einer war ein Schild befestigt mit einem Hinweis auf den baldigen Verkaufsstart von Deko-Artikeln. Man solle sich per E-Mail vormerken lassen. Es war deprimierend. So kam beim Anblick von nach unten laufenden Rolltreppen die Idee auf, den Gedanken des Abwärtstrends in einer Rauminstallation fortzusetzen und in einen tristen, bösen Traum zu überführen. Es entstand OVER – der Albtraum eines Geisterkaufhauses, in dem es weder Waren noch Kunden gibt und alle Perspektiven nach unten weisen. Der Nachklang der Geräuschkulisse hängt noch in den Wänden, Rolltreppen laufen nur noch abwärts und die letzten Schaufensterpuppen stehen, ohne noch Kleidung zeigen zu können, verloren im Raum oder irren hilflos umher und fragen eine nicht mehr vorhandene Kundschaft, ob sie Hilfe benötige. Warum sind in der Installation nur Rolltreppen und Schaufensterpuppen zu sehen? Die Rolltreppen stehen als Sinnbild für das klassische Kaufhaus. Im Onlinekaufhaus gibt es keine Rolltreppen. Für den Urheber der Installation bedeuteten die Fahrtreppen im Kaufhaus während seiner Kindheit die weite Welt. Die silbrig glänzenden, in endloser Kette aus dem Boden hervorwachsenden und am anderen Ende wieder in einer Ebene verschwindenden Stufen, die gleichzeitig auch ein wenig unheimlich wirkten (Vorsicht: Spalte!), gab es nur im Kaufhaus. In OVER steht das Auf und Ab der Schleifentreppen auch für die jahrelange Berg- und Talfahrt der Zweigstelle Lübeck, die von mehreren Schließungsankündigungen und deren Rücknahmen geprägt war. Zuletzt gab es nur noch eine Richtung. Die ist in der Installation zu sehen. Auch die Modellpuppen in den Schaufenstern übten in der Kindheit eine Faszination aus. Irgendwie waren sie in ihrer kühlen Unnahbarkeit immer etwas unheimlich. Lebten sie vielleicht doch ein bisschen? Erwachten sie nachts und bewegten sich, wenn niemand hinschaute? Nun fragen funktionslos gewordenen Exemplare hilflos ins Nichts, ob sie helfen können. OVER verdichtet die triste Abschiedsatmosphäre der letzten Tage der Lübecker Karstadtfiliale und visualisiert den Niedergang durch die Reduktion auf die Symbolik der abwärts laufenden Treppen des Hauses. Das Bild wird durch Kopien der Loops – Rolltreppe neben Rolltreppe – verstärkt. Die silbrige Kälte der Stufen dominiert das Ambiente des Raumes. Die leeren, glänzenden Rolltreppen bringen es in ihrer Abwärtsbewegung auf den Punkt: Alles ist kalt. Alles läuft nach unten. Die Schaufensterpuppen sind verloren. Die Kundschaft wurde verloren. Die Belegschaft hat verloren. Es ist OVER. Lübecks Karstadt wurde geschlossen. In OVER kann man seine Rolltreppen und ein paar letzte Schaufensterpuppen noch einmal sehen und seine Geräusche noch einmal hören. Eintritt frei Man kann nichts kaufen,darf aber spenden.
ÖFFNUNGSZEITEN
Fr. 06.12.2024 / 19 Uhr: Vernissage
Sa. 07.12.2024 bis Sa. 14.12.204 von 14 bis 19 Uhr (Montag geschlossen)
Do. 12.12.204 von 16 - 18 Uhr: Mitmachaktion für Kinder und Erwachsene
OVER
von Jens Hinrichsen
mit Unterstützung von UrbanProjection, FabLab Lübeck und LYNX Media
Gefördert von Kulturfunke und Kulturhorst